Musik - Aleatorische Werkstatt: Wem gehört das Werk?
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Unterrichtsbausteine
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0 - Die Idee der Kompositionswerkstatt
Kompositionswerkstatt/ExperimentierraumDie hier dargestellte Unterrichtssequenz versteht sich als Experimentierraum oder Kompositionswerkstatt, in dem/der die Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Werkzeugen wählen können, die ihnen das experimentelle Gestalten mit unterschiedlichen aleatorischen Werkzeugen ermöglichen. Dabei stehen das Kennenlernen und Ausprobieren der Werkzeuge auf der einen Seite, das Reflektieren und Festhalten der eigenen Erfahrungen mit den jeweiligen Werkzeugen auf der anderen Seite. Sämtliche Experimente und Erfahrungen sollen die Schülerinnen und Schüler im Portfolio dokumentieren und dabei mindestens folgende Aspekte reflektieren:
- Was für ein Kompositionsprinzip steckt hinter der App/dem Plugin/der Webseite?
- Wo liegt der aleatorische Aspekt?
- Wie „frei“ ist der Komponist bei der Verwendung des Werkzeugs?
- Wie hoch ist der Anteil von Komponist und/oder Interpret an der Urheberschaft bei der Realisierung eines aleatorischen Werks
- Diskussion der Frage nach dem Anteil des Computers/der Algorithmen an der Urheberschaft des generierten Werkes Werkes
- Wie viel gibt das Programm/die App vor?
- Wie hoch ist der Grad des möglichen Eingreifendes des Komponisten/des Interpreten?
- Reflexion der eigenen Erfahrungen beim Realisieren und Komponieren aleatorischer Musik
Darüber hinaus sollen die Schülerinnen und Schüler die von ihnen aleatorisch gestalteten Werke in Beziehung setzen zu den im Rest des Unterrichtsvorhabens thematisierten Werken (z.B. Earle Brown, December 1852; John Cage: Variations I; Karlheinz Stockhausen: Klavierstück XI; Christian Wolff: Sticks, Stones; etc.) und ihre Erfahrungen zur Vorbereitung der Teilnahme an der, die Reihe abschließenden, Podiumsdiskussion nutzen.
Werkzeuge zur KompositionDie verschiedenen Apps und Werkzeuge dieser Kompositionswerkstatt bieten viele Anreize zum Ausprobieren und Spielen. Dem anfänglichen Drang der Schülerinnen und Schüler, spielerisch herumzuprobieren, sollte bewusst Zeit und Raum gegeben werden – nicht nur lässt sich der Spieltrieb sowieso wenig im Zaum halten, sondern er kann auch für den kreativen Gestaltungsprozess wertvoll sein. Es erscheint sinnvoll, hier entsprechende Zeit für einzuplanen.
Werkzeuge zur aleatorischen InterpretationGerade im Bereich der aleatorischen Interpretation (hier: InBflat und marker/music) ist es wichtig, die Schülerinnen und Schüler auf die Arbeit mit dem Portfolio und die begleitende Dokumentation ihrer Gestaltungsversuche und die Reflexion der Prozesse hinzuweisen, damit die Arbeit mit den in der Regel sehr motivierenden und zum Spielen einladenden Werkzeuge nicht auf unreflektiertes „Herumspielen“ reduziert wird.
Hintergrund der Experimente der Schülerinnen und Schüler sollte zu jeder Zeit die Frage nach dem Anteil von Komponist und Interpret und im Falle der Nutzung digitaler Werkzeuge auch der Anteil des Computers an der Urheberschaft und der Realisierung eines aleatorischen Werkes sein.
„Wem gehört das Werk?“ ist die Frage, die bei allen Experimenten als Hintergrundfolie mitgedacht und von den Schülerinnen und Schülern beantwortet und diskutiert werden soll. Insbesondere die Frage nach dem gewandelten Werkverständnis im 20. Jahrhundert sowie die veränderte Rolle von Komponist und Interpret sollte bei jedem Experiment immer wieder aufs Neue in den Fokus gerückt werden. Wie viel Komponistenfunktion haben die Schülerinnen und Schüler? Wie viel Interpretenfunktion haben Sie? Und welchen Anteil hat der Computer/die Webseite/die App, die genutzt wird?
Im Folgenden werden die einzelnen Werkzeuge und ihre Besonderheiten kurz dargestellt.
VII - Aleatorisch interpretieren in der Tradition von Terry Riley
In B flat – Aleatorisch interpretieren in der Tradition von Terry RileyDas Webprojekt In Bb 2.0 (http://inbflat.net) von Darren Solomon (http://www.darrensolomon.com) lehnt sich an Terry Rileys In C an und bietet in einer 5x4 Felder großen Matrix insgesamt 20 Videos mit Audio- oder Sprachaufnahmen an, welche nacheinander oder simultan in jeder beliebigen Reihenfolge gestartet und gestoppt werden können.
Ideen zur DifferenzierungDie englischsprachige FAQ-Webseite hinter In Bb 2.0 (http://inbflat.net/faq.html) bietet weiterführende Informationen zum Stück und zur Idee dahinter. Schülerinnen und Schüler können auch über Twitter mit dem Komponisten in Kontakt treten.
Es existieren zwei weitere Versionen von „In Bb 2.0“ welche auf weniger Videos zurückgreifen. Schülerinnen und Schülern können auch diese etwas übersichtlicheren Versionen zur Verfügung gestellt werden:
- 4x4 Matrix: http://inbflat.net/16/
- 4x3 Matrix: http://inbflat.net/12/
I - Bubbleatoric auf dem iPad
Bubbleatoric auf dem iPadDie kostenlose App Bubbleatoric ermöglicht Zufallskompositionen, indem Bälle über ein Spielfeld gerollt werden. Jeder Ball hat eine bestimmte Tonhöhe – definiert durch die Farbe des Balls. Trifft ein Ball auf eine Bande oder auf einen anderen Ball, ertönt der eingestellte Ton. Durch langes Drücken auf die Spielfläche erscheint ein minimalistisches Menü, in dem die der Komposition zugrundeliegende Skala definiert werden kann. Je nach ausgewählter Skala (G#1/2 steht zum Beispiel für eine chromatische Skala beginnend auf Gis) stehen den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Tonvorräte zur Verfügung.
- Durch Tippen auf den Rand neben dem Spielfeld kann die Tonhöhe/Farbe des nächsten Balles, der positioniert wird, ausgewählt werden.
- Bälle können mit unterschiedlichem Schwung auf der Spielfläche gestartet werden.
- Einmal gesetzte Bälle können danach nicht mehr von außen beeinflusst werden.
- Alle Bälle sind zu Beginn gleich groß.
- Treffen Bälle gleicher Farbe und Größe aufeinander, verschmelzen sie, verdoppeln ihre Größe und ändern ihre Oktavlage.
- Treffen zwei Bälle der Größenordnung 2 aufeinander, verschmelzen sie und lösen sich auf.
- Die Komposition wird gelöscht, indem das iPad geschüttelt wird.
Hinweis:
Bubbleatoric bietet keine Möglichkeit, die gestalteten Stücke zu speichern. Schülerinnen und Schüler können allerdings die Systemfunktionen „Bildschirmfoto“ sowie „Bildschirmaufnahme“ des iPads benutzen, um entweder Momentaufnahmen aus der Gestaltungsphase oder Audio- und Videoaufzeichnungen der Arbeit mit Bubbleatoric festzuhalten und fürs Portfolio zu dokumentieren.
II - Zufalls-Plugins in MuseScore
Die kostenlose und plattformübergreifende Notationssoftware Musescore bringt zwei Plugins mit sich, die „Zufallskompositionen“ generieren. Diese Plugins müssen nach der Installation von Musescore allerdings zunächst aktiviert werden – in einer frischen Musescore-Installation sind sie noch nicht aktiv:
Plugins aktivierenAus dem Menü „Plug-Ins“ muss der „Plug-In Manager“ gestartet werden. Nun werden alle zur Zeit verfügbaren Plug-Ins für Musescore angezeigt, darunter auch random und random2.
Durch das Setzen von Häkchen und Schließen des Dialogs werden die Plug-Ins aktiviert. Sie stehen danach im Menüpunkt „Plug-Ins“ als Punkte random und random2 zur Verfügung.
Ein Klick auf einen der Punkte generiert eine neue Partitur mit „zufällig“ gesetzten Noten.
HinweisDie Schülerinnen und Schüler sollten dazu angehalten werden, die „zufällig“ generierten Werke im Hinblick auf den Grad der Zufälligkeit zu untersuchen. Beide Plug-Ins bedienen sich tatsächlich nur eines sehr begrenzten, aber unterschiedlich definierten „Zufallsraums“, den die Schülerinnen und Schüler in der Untersuchung der generierten Partituren erkennen und dessen Grad an Zufälligkeit sie bewerten sollten.
Aspekte könnten hier sein: Verwendeter Tonvorrat sowie verwendete Notenwerte. Die Schülerinnen und Schüler könnten auch überlegen, welche weiteren Parameter ein alternatives Plugin für MuseScore noch randomisieren könnte und inwiefern sich die entstehenden Stücke voneinander unterscheiden.
III - Zufallsnoten im Pianorolleditor
Garageband Zufallsnoten im Pianoroll-EditorJedes Instrument hat in Garageband eine Instrumentenspur in der eingespielte Noten als kleine Kästchen repräsentiert sind. Diese Spuren können in Garageband bearbeitet werden, indem ein langer Klick auf ein sogenanntes "Spurevent" (=eine Abfolge von Tönen in der Spuransicht) erfolgt. Es öffnet sich der Pianoroll-Editor, der in seiner Funktion angelehnt ist an automatische Klaviere, in denen Lochkarten genutzt wurden um zu definieren, welcher Ton wann wie lange zu spielen ist.
Innerhalb Garagebands muss ggf. oben links der Eingabemodus aktiviert werden (Schloss öffnen, rotes Stift-Icon aktiv). Nun können Töne in der Matrixansicht gesetzt werden. Die Länge eines Tones kann durch Ziehen des gesetzten Kästchens beeinflusst werden. Nun können unterschiedliche Zufallsmechanismen angewandt werden, um zu entscheiden, welche Töne wann wie lange gespielt werden sollen, es kann also aleatorisch komponiert werden.
Beispiele für aleatorische MechanismenDen Schülerinnen und Schülern können unterschiedliche Wege aufgezeigt werden, die Töne zufällig zu setzen:
- Der einfachste Weg ist das willkürliche Setzen von Tönen und Tonlängen.
- Eine Alternative dazu wäre, Tonhöhen und Tonlängen zu würfeln und dabei jedem Würfelwert zuvor eine Tonhöhe oder eine Tonlänge zuzuweisen. Dies kann Note für Note passieren oder in zwei getrennten Schritten: Zunächst wird gewürfelt und die Sequenz notiert, im zweiten Schritt wird die so ausgewürfelte Sequenzen dann im Pianorolleditor notiert.
- Anstatt Würfel zu verwenden können auch Online-Zufallsgeneratoren eingesetzt werden. Die englischsprachige Webseite https://www.random.org/sequences/ generiert z.B. Zufallskolonnen nach vorher zu definierenden Rahmenbedingungen)
IV - Zufällig generierte Beats
Garageband II - Zufällig generierte BeatsSowohl im Bereich Smartdrums als auch im Bereich Beatsequencer bringt Garageband einen eigenen Zufallsgenerator mit. In beiden Ansichten kann durch Nutzen des „Würfelbuttons“ die vorhandene Matrix zufällig gefüllt werden. Im Beatsequencermodus füllt Garageband dabei die vorgegebenen Takte zufällig, im Bereich der Smartdrums erfolgt die Besetzung des Rhythmus zufällig.
Ideen für alternatives VorgehenAls Alternative zu den eingebauten Zufallsgeneratoren können auch die in "III - Zufallsnoten im Pianorolleditor" bereits genannten Wege beschritten werden, um eigene Zufallsreihen zu generieren. So könnte bei den Smartdrums ausgewürfelt werden, welches der sechs zur Verfügung stehenden Instrumente auf welche Position der 8x8 Felder großen Matrix (x-Achse: einfach-komplex / y-Achse: leise-laut) gesetzt werden soll, anstatt diese Entscheidung der Würfelfunktion zu überlassen.
V - Aleatorisches Komponieren mit LiveLoops
Garageband auf dem iPad: Aleatorisches Arrangieren mit LiveloopsIm Bereich LIveLoops bietet Garageband eine breite Fülle bereits vorgefüllter, loopbasierter Kompositionen an. Diese können auf unterschiedliche Arten und Weisen aleatorisch verarbeitet werden.
- Unterhalb jeder Spalte der LiveLoop-Ansicht befindet sich ein durchnummerierter Playbutton. Hier kann zufällig ausgewählt werden, welche Kombination an Loops als nächste abgespielt werden soll.
- Nach Aktivierung des Bearbeiten-Modus (Symbol unten links) können die voreingestellten Loops geändert werden. In der Loopauswahl stehen mehr als 5.000 Loops zur Verfügung. Die Loops können nach aleatorischen Prinzipien ausgesucht und in der Matrix positioniert werden.
Ideen zur Differenzierung:Schülerinnen und Schüler müssen nicht zwingend mit den von Garageband vorgegebenen Songs arbeiten, es ist auch möglich mit einer leeren Matrix zu starten und diese nach aleatorischen Prinzipien zu füllen. Wie bei allen anderen Kompositionswegen mit Garageband auch, so kann auch hier überlegt werden, inwiefern eine Würfelsequenz genutzt werden kann, um den nächsten Loop zu finden. Denkbar wäre z.B. die Filterfunktion von Garageband zu nutzen und zu würfeln, welches Instrument aus welchem Genre an welcher Position der Liste als nächstes verwendet werden soll.
VI - DoReMix
WDR Klangkiste - DoReMixDer WDR bietet in den interaktiven DoReMix (https://klangkiste.wdr.de/#/doremix) auf der Webseite der Klangkliste an. Hier können die Schülerinnen und Schüler nicht nur auswählen, mit welchem Ensemble (WDR Sinfonieorchester, WDR Rundfunkchor, WDR Funkhausorchester, WDR Big Band, Die Maus) sie aleatorisch musizieren wollen.
Jedes Orchester bietet eine Matrix aus 3x5 Musikerinnen und Musikern an, die simultan oder sukzessive gestartet werden können. Ein Klick auf das Blitz-Icon ermöglicht es, jeden Loop zu individualisieren, zur Verfügung stehen die Verarbeitungstechniken Echo, rückwärts und Comic, die auch beliebig miteinander kombiniert werden können. Über den Aufnahmeknopf unten links kann die Performance mitgeschnitten und danach über den Playbutton wieder abgespielt werden.
Idee zur DifferenzierungDer Smiley-Button ermöglicht es, zu jedem Musiker und zu jeder Musikerin weiterführende Informationen zu erhalten. Häufig werden hier auch fachliche Zusammenhänge erklärt, z.B. was „Sopran“ bedeutet oder welche Instrumente ähnliche Klangfarben besitzen. Einzelne Schülerinnen und Schüler können diese Informationen mit ins Portfolio aufnehmen oder überlegen, inwieweit die Hintergrundinformationen in den aleatorischen Prozess mit einbezogen werden könnten.
WDR Klangkiste - Mein DoReMix – eigene Loops erzeugen und per Zufall kombinierenAuf der Webseite Mein DoReMix (https://klangkiste.wdr.de/#/meindoremix) bietet der WDR darüber hinaus Werkzeuge an, mit denen die Schülerinnen und Schüler bis zu 15 eigene Audioaufnahmen erstellen und aleatorisch kombinieren können.
Eine Aufnahme wird gestartet, indem der Mikrofonknopf aktiviert und danach eines der Felder der Matrix für die Dauer der Aufnahme gehalten wird. Ist eine Aufnahme erstellt, kann über den „Blitzknopf“ die Bearbeitung gestartet werden: Eine ausgewählte Aufnahme kann über das Loop-Symbol zum Loop konvertiert werden.
Hier kann auch mit den Effekten Echo, Rückwärts und Comic experimentiert werden.
Sind alle Loops fertig produziert können die Schülerinnen und Schüler nach aleatorischen Prinzipien aus den eigenen Loops eine Zufallskomposition erstellen.
Schülermaterial - AB DoReMix | Schülermaterial - Weitere Ideen zu DoReMix
VIII - marker/music – aleatorische Landkarte
marker/music – aleatorische LandkarteDer Komponist Darren Solomon, der auch die unter VII vorgestellte Webseite InBflat programmiert hat, hat mit Studenten der Northern State University in Aberdeen mit marker/music eine interaktive Landkarte (https://markermusic.com) gestaltet, auf der sich grüne Markierungen befinden. Ein Klick auf die Markierungen spielt Videos ab, die an genau dieser Stelle aufgezeichnet worden sind. Die Videos können simultan oder sukzessive in beliebiger Reihenfolge abgespielt werden.
Technischer Hinweis: Beim Aufruf der Seite erscheint eine Fehlermeldung von Google Maps. Die Meldung kann ignoriert werden, die Webseite ist dennoch funktionsfähig.
Hinweis für Schülerinnen und SchülerDie Schülerinnen und Schüler können dazu angehalten werden, verschiedene aleatorische Prinzipien mit dieser Webseite auszuprobieren und im Portfolio festzuhalten, welche ästhetischen Erfahrungen sie beim Experimentieren und Interpretieren des Werkes machen.
IX - Das Portfolio
Reflexionsmatrix im PortfolioDie gesamte Phase des Ausprobierens und Gestaltens in der aleatorischen Werkstatt soll von den Schülerinnen und Schülern in einem Portfolio begleitet und reflektiert werden. Eine mögliche Vorlage für Portfolio-Einlagen findet sich in den Materialien für Schülerinnen und Schüler. Das Experimentieren mit den verschiedensten aleatorischen Zugänge soll an keiner Stelle Selbstzweck sein, sondern immer unter den weiter oben bereits thematisierten Fragestellungen erfolgen. Ziel ist letztlich die aktive und differenzierte Teilnahme an der Podiumsdiskussion gegen Ende des Unterrichtsvorhabens.
- Was für ein Kompositionsprinzip steckt hinter der App/dem Plugin/der Webseite?
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