Musik - Gefunden – erfunden: Musique concrète und Elektronische Musik der 1950er Jahre
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Unterrichtsbausteine
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Da das Unterrichtsvorhaben im Inhaltsfeld Entwicklungen von Musik verortet ist, werden die musikalischen Werke der Musique concrète und der Elektronischen Musik aus einer historischen Perspektive untersucht. Dabei wird die Erörterung der technologischen und ästhetischen Kontexte dieser Musik stets mit digital unterstützten Analysen sowie Gestaltungsaufgaben verbunden (→Fachlich-inhaltlicher Kontext).Gleichwohl lassen sich einige Teile auch aus dem musikgeschichtlichen Kontext lösen. Dies betrifft insbesondere die Module zur Klangfarben-Analyse (M3 und M4), denn das hier vorgestellte analytischen Instrumentarium – Kategorien zur Klangbeschreibung, Verfahren der Spektralanalyse sowie der grafischen Transkription von Klangprozessen – kann auch in anderen thematischen Zusammenhängen eingesetzt werden, so etwa zur Analyse von instrumentalen Klangfarbenkompositionen (György Ligeti, Krzysztof Penderecki, Gérard Grisey etc.) oder von Filmmusik.Sollte nur wenig Zeit zur Verfügung stehen, so kann das Unterrichtsvorhaben umgekehrt auf die Module zur Ästhetik sowie Technologie der Musique concrète und der Elektronischen Musik (M2 und M5) fokussiert werden, an die sich gegebenenfalls noch die abschließende Gestaltungsaufgabe (M6) anschließt.
Unterrichtsstunde 1–4: Musik als akustisches Phänomen / Die Anfänge der elektroakustischen Musik
- Anhand von Edgard Varèses Schlagzeugstück Ionisation werden die Schülerinnen und Schüler mit einer Kompositionsweise konfrontiert, die auch ohne den Einsatz elektroakustischer Mittel traditionelle Hör- und Analysegewohnheiten zu irritieren vermag, indem sie weitgehend mit geräuschhaften Klängen arbeitet (M1). Anhand des beigefügten Varèse-Zitats sollte die Frage nach dem Verhältnis zwischen künstlerisch-musikalischen und physikalisch-akustischen Aspekten aufgeworfen werden, die auch bei der nachfolgenden Auseinandersetzung mit der elektroakustischen Musik immer wieder diskutiert wird – und zwar sowohl im Hinblick auf deren technologisch rückgebundene Produktion (M2, M5) als auch bezüglich ihrer Rezeption (M3, M4).
- Durch die nachfolgende Begegnung mit frühen elektroakustischen Kompositionen von Pierre Schaeffer und Karlheinz Stockhausen (M2) wird die durch Varèse aufgeworfene Frage insofern verschärft, als sich das Klangmaterial hier vertrauten musikalischen Ordnungs- und Beschreibungskategorien entzieht und außerdem auch jede Art einer veranschaulichenden Notation fehlt.
Die Erarbeitung der akustischen Grundbegriffe (M1) kann gegebenenfalls für eine fächerverbindende Kooperation mit dem Fach Physik genutzt werden. Darüber hinaus können bestimmte physikalische Phänomene mithilfe von erläuternden Videos veranschaulicht werden, wie sie sich vielfach im Internet finden lassen (so etwa in einschlägigen Wikipedia-Artikeln). Auch zu den auf M2 vorgestellten elektroakustischen Spielinstrumenten gibt es viele Dokumentationsvideos.
→Materialien für die Unterrichtsstunden 1–2
→Materialien für die Unterrichtsstunden 3–4
Unterrichtsstunde 5–6: Sinuston, Klang und Geräusch
- Um die erste Arbeit der Schülerinnen und Schüler mit dem Acousmographen von technischen Fragestellungen zu entlasten, ist es sinnvoll, wenn die Lehrkraft die Computerfenster mit den Acousmographien vorbereitet und dabei insbesondere sinnvolle Einstellungen für die Farbdarstellung und Auflösung der Spektrogramme sowie den wiedergegebenen Bildausschnitt (obere Grenzfrequenz, Zeitachse) wählt und Markierungen der zu analysierenden Klangbeispiele einfügt. Beispiele für entsprechend eingerichtete Acousmographien finden sich im Materialteil zum vorliegenden Unterrichtsvorhaben (Fenster 1–3). Da es sich bei diesen aks-Dateien um Projektdateien handelt, müssen sie jeweils mit den dazugehörigen Klangdateien (HB01b, HB02, HB03) verknüpft werden.
- Sollte
es aufgrund der Geräteausstattung der Schule nicht möglich sein, die
Schülerinnen und Schüler mit dem Acousmographen arbeiten zu lassen, können die entsprechenden
Acousmographien auch als Film exportiert und als Video zur Verfügung gestellt
werden (siehe die Videos Fenster 1 bis
Fenster 3 im
Materialteil). Allerdings können dann natürlich bestimmte Analyse- und
Darstellungsfunktionen des Acousmographen – insbesondere Tempomodifikation, Filterung,
Looping – nicht genutzt werden.
Unterrichtsstunden 7–11: Klänge hören, beschreiben und visualisieren
1. Klänge hören und beschreiben- Zur Erarbeitung des Informationsblattes ist der methodische Dreischritt think – pair – share sinnvoll: Jeder Einzelne liest den Text zunächst für sich selbst und markiert sich unklare Begriffe, Formulierungen etc.; dann tauscht er sich mit seinem Nachbarn darüber aus und beide versuchen, offene Fragen zu klären; zuletzt wird der Inhalt von ausgewählten Schülerinnen und Schülern im Plenum vorgestellt; alle haben dabei die Möglichkeit zu Fragen, Ergänzungen und Korrekturen.
- In der Plenumsphase kann es hilfreich sein, die einzelnen Kategorien immer wieder exemplarisch anhand konkreter, mithilfe von Instrumenten oder Alltagsgegenständen realisierter Klänge zu erläutern, beispielsweise indem das Ausschwingverhalten eines per Tastendruck erzeugten Klavierklangs mit einer per Fingernagel gezupften Klaviersaite verglichen wird. So erhalten die Schülerinnen und Schüler zugleich erste Anregungen für die nachfolgende Gestaltungsübung, in der Klänge auch jenseits der konventionellen Spieltechniken erzeugt werden sollen.
- Im Hinblick auf die abschließende Präsentation und Diskussion der Arbeitsergebnisse im Klassenplenum ist es wichtig herauszuarbeiten, dass die Beschreibung von Klängen und Klangprozessen nicht die gleiche Eindeutigkeit und Präzision besitzt wie die Bestimmung von Tonhöhen, Tondauern, Intervallen etc. im Rahmen der traditionellen Notation. Häufig ist man bei der Beschreibung musikalischer Eigenschaften auf räumlich-visuelle oder taktile Metaphern angewiesen. Während aber für den Bereich der Tonhöhe die zwölfstufige Unterteilung der Oktave in weiten Teilen der Kunst- und Unterhaltungsmusik etabliert ist, liegen derartige intersubjektiv gültige Skalierungen im Bereich der Klangfarbe nicht vor – und wären wohl auch nicht sinnvoll. Auch die vierfachen Abstufungen der Kategorien „spektraler Charakter“, „Körnigkeit“ und „Klangcharakter“ in der Tabelle (M4c) sind selbstverständlich willkürliche Unterteilungen eines klanglichen Kontinuums, die je nach Bedarf bzw. analytischem Erkenntnisinteresse auch anders gewählt werden könnten. Daher können die Schülerinnen und Schüler bei der Kategorisierung der acht Klänge (Aufgabe 1) im Detail durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Wo etwa der eine einen kurzen Impuls hört, der durch den akustischen Raum der Aufnahme mit einem Nachhall versehen wird, nimmt der andere einen – wenn auch kurzen – Ausschwingvorgang wahr. Indem man über derartige Fragen diskutiert, rücken auf einmal subtile klangfarbliche Differenzierungen ins Bewusstsein, über die man zuvor meist hinweggehört hat.
- Die kriteriengeleitete Erzeugung eines Klanges (Aufgabe 2) stellt eine elementare Vorübung für das Komponieren eigener Stücke (→M6) dar. An dieser Stelle geht es zunächst darum, bei der Realisierung die Vorgaben zur klanglichen Struktur so genau wie möglich umzusetzen. Daher ist es sinnvoll, in der abschließenden Präsentation mehrere Realisationen des Klanges zu vergleichen.
2. Grafische Hörpartituren erstellenRainer Wehingers grafische Partitur zu György Ligetis elektronischer Komposition Artikulation dient als Beispiel für die Möglichkeit, klangliche Verläufe und Strukturen elektroakustischer Musik mittels grafischer Transkription zu veranschaulichen. Die Schülerinnen und Schüler können zunächst anhand des wiedergegebenen Ausschnitts grundsätzlich Klangkategorien und deren grafische Darstellung herausarbeiten und dann anhand des verlinkten Online-Videos die gesamte Hörpartitur mit Ligetis Musik synchronisiert, die Leistungen und Grenzen einer solchen Darstellungsweise herausarbeiten (Aufgabe 3).
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An Wehingers Hörpartitur sollte verdeutlicht werden, dass für derartige Transkriptionen kein verbindlicher Kodex existieren kann. Daher können die Schülerinnen und Schüler bei ihren eigenen Transkriptionsversuchen eines Ausschnitts aus Pierre Schaeffers Étude aux sons animés (Aufgabe 4) durchaus ihre eigene Kreativität einbringen. Je nachdem, ob das Darstellungsinteresse eher auf der prägnanten Umsetzung der grundlegenden klanglichen Eigenschaften (auf Kosten der Details) oder eher auf der sorgfältigen Wiedergabe feinster Nuancen (auf Kosten des Gesamteindrucks) liegt, kann die visuelle Darstellung desselben Klangs bzw. Klangverlaufs sehr unterschiedlich ausfallen. Gleichwohl kann man insoweit Beurteilungskriterien für die Qualität einer Übertragung formulieren, als der Zusammenhang der einzelnen grafischen Elemente zu der beschriebenen musikalischen Struktur ja stets nachweisbar sein muss.
Wenn den Schülerinnen und Schülern Desktoprechner oder Laptops zur Verfügung stehen, können bei der Erstellung der grafischen Partituren unterstützend Spektrogramm der Musik mithilfe des Acousmographen erstellt und abgespielt werden. Erste Erfahrungen mit dieser Software sowie mit dem Lesen der Spektrogramme haben die Schülerinnen und Schüler bereits im Modul M3 gesammelt. Es ist zweckmäßig, die Spektrogramme auf dem Computer gemeinsam mit der Musik abzuspielen, wobei ein beweglicher Marker stets anzeigt, an welcher Stelle auf der Zeitachse des Spektrogramms man sich aktuell befindet. Je nach dem verfügbaren Zeitrahmen sowie technischem Vermögen kann die Lehrkraft die Spektrogramme entweder selbst vorbereiten oder den Schülerinnen und Schülern überlassen, Auflösung, Farbschemata etc. geeignet einzurichten. Der Acousmographe bietet aber nicht nur zahlreiche Analysemöglichkeiten – klangliche Filterungen, farbliche Veränderung der Darstellung, Tempomodifikationen, Veränderungen der Abspielrichtung, Vergrößerungen etc. –, sondern erlaubt auch die Erstellung grafischer Partituren (M4d). Die Verwendung der Software als Analyseinstrument und komfortabler Mediaplayer kann aber auch bei der händischen Erstellung grafischer Partituren durchaus hilfreich sein, um musikalische Einzelheiten zu überprüfen.
Unterrichtsstunde 12–17: Musique concrète und Elektronische Musik: technologische und ästhetische Grundlagen
Das Stationenlernen (M5) verbindet die Vermittlung (musik-)historischer, technologischer und ästhetischer Aspekte der frühen elektroakustischen Musik (Stationen 1 und 2) mit Gestaltungsübungen (Stationen 3 bis 6), in denen die Schülerinnen und Schüler die technischen Voraussetzungen für die abschließende Gestaltungsaufgabe (M6) erwerben.
- Für die Gestaltungsübungen benötigen die Schülerinnen und Schüler den Zugriff auf Computer bzw. Laptops mit der Software Audacity; außerdem sollte für die Betrachtung des Online-Videos in Station 1 ein Zugang zum Internet verfügbar sein. Sollten Soft- und Hardware in den Unterrichtsräumen nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen, können die Arbeitsblätter statt in Form eines Stationenlernens auch im Plenum in Gruppenarbeit bearbeitet werden. Auch eine Verlagerung der digital gestützten Gestaltungsübungen in die Hausarbeit wäre denkbar, sofern die Schülerinnen und Schüler zuhause mit entsprechenden privaten Geräten ausgestattet sind.
Durch die Fokussierung der Klangherstellung gerät in Station 3 auch der oftmals vernachlässigte Aspekt der Aufnahme (insbesondere der Mikrofonierung) von Klängen in der Musique concrète in den Blick. Für die Gestaltungsübungen ist es wünschenswert, die Desktop-Computer bzw. Laptops, die den Schülerinnen und Schülern zur Aufnahme zur Verfügung stehen, jeweils mit einem externen Mikrofon auszustatten. Eingebaute Mikrofone (etwa in Laptops) sind qualitativ oftmals minderwertig und können darüber hinaus nicht frei bewegt werden. Gegebenenfalls wäre auch eine Aufnahme mit externen Geräten und die anschließende Überspielung zur digitalen Weiterverarbeitung auf dem Computer möglich. Allerdings ist auch die Aufnahmequalität von Smartphones und Tablets nur gering; außerdem arbeiten die betreffenden Recording-Apps zur Optimierung der Sprachverständlichkeit häufig mit Bandpassfiltern oder Limitern, die die Klangfarbe sowie den dynamischen Verlauf gegebenenfalls unkontrolliert verändern bzw. verfälschen. Für musikalische Zwecke erscheint daher der Rückgriff auf mobile Aufnahmegeräte wie Field Recorder etc. als sinnvoller. Alternativ könnte die eigene Klangproduktion auch durch den Rückgriff auf Klang-Bibliotheken ersetzt werden. So stellen verschiedene Online-Klangarchive vielfältige Klangmaterialien für nicht-kommerzielle bzw. pädagogische Zwecke kostenfrei zur Verfügung.
Unterrichtsstunde 18–22: Ein elektroakustisches Musikstück realisieren
- Im Sinne der historischen Fokussierung des im Inhaltsfeld Entwicklungen von Musik verorteten Unterrichtsvorhabens soll die abschließende Gestaltungsaufgabe (M6) sich grundsätzlich an den technischen Mitteln der Klanggenese und -verarbeitung orientieren, wie sie in der Musique concrète und der Elektronischen Musik der 1950er-Jahre entwickelt und eingesetzt worden sind. Gleichwohl geht es nicht um eine Stilkopie, sondern vielmehr um den kreativen Umgang der Schülerinnen und Schüler mit den im Unterricht vermittelten Gestaltungsweisen. In diesem Sinne ist auch das Gedicht von Arthur Rimbaud nicht als Ausdruck einer stiltypischen Ästhetik, sondern als Anregung zu verstehen, auf die die Schülerinnen und Schüler individuell reagieren können.
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